
Wenn Palantir über Klinik, Gerichtssaal und Grenzzaun mit entscheidet.
In Tagen der Unsicherheit, gesellschaftlicher Zerrissenheit und geopolitischer Umbrüche hoffen viele auf ein Werkzeug, das Klarheit schafft: auf Daten, Fakten und schnelle Antworten. Palantir verspricht genau das und ist gleichzeitig eine der größten demokratischen Herausforderungen unserer Zeit. Denn die Software rechnet nicht nur, sie entscheidet maßgeblich mit, ob im Krankenhaus, im Gerichtssaal oder an der Grenze. Genau deshalb fordert dieses Unternehmen unsere Aufmerksamkeit und eine grundsätzliche Debatte über Kontrolle, Transparenz und Verantwortung.
Justiz & Rückfälligkeit – Wenn Algorithmen über Schicksale wachen
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der ein Richter nicht allein nach Gesetz und Gewissen urteilt, sondern sich auch auf ein Dashboard stützt: Rot = hoher Risikoscore, Grün = niedriges Rückfalltempo. Diese Ebene ist näher, als Sie denken. In Großbritannien zeigte eine Anfrage nach dem Freedom-of-Information-Act, dass Palantir dem Justizministerium und der Gefängnisverwaltung selbstredend „sichere Datenverknüpfung“ zur Ermittlung von Rückfallrisiken angeboten hat. Statt Einzelfallprüfung dominierte am Ende ein Algorithmus, der Statistiken auswertet, ohne Empathie, Lebensgeschichte oder Kontext.
Solche Prognosen klingen nach Effizienz, aber sie stecken voller Risiken. Fehlerhafte oder voreingenommene Daten führen zur Fehleinschätzung ganzer Gruppen. Wenn zum Beispiel Menschen aus bestimmten Vierteln überproportional in Polizeikontakten erscheinen, wird der Score automatisch in Richtung Überwachung ausspringen, eine klassische Self-Fulfilling Prophecy. Noch bedenklicher: Wer sich auf Prognosesoftware verlässt, redet im Zweifel von „Datenbasis“ statt „judizieller Abwägung“. Und das schwächt die Tragfähigkeit gerichtlicher Entscheidungen.
Besonders brisant: Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2023 Teile der rechtlichen Grundlagen für automatisierte Polizeianalyse in Hessen und Hamburg als verfassungswidrig eingestuft. Die Begründung: Datenschutz und rechtsstaatliche Prinzipien wurden nicht ausreichend berücksichtigt, eine Warnung, die symbolisch für ganz Europa gelten kann.
Gesundheit als Datenplattform – NHS unter Palantirs Federführung
Die britische National Health Service (NHS) hatte 2023 einen Mega-Vertrag mit Palantir abgeschlossen: £330 Millionen für eine zentrale Datenplattform, die alle Gesundheitsdaten in Echtzeit bündeln soll. Von der Bettenverwaltung über Wartezeiten bis hin zur Intensivstation-Zuteilung, Pläne sahen vor, dass Patientenströme und Ressourcen digital optimiert werden.
Doch in der Ärzteschaft regte sich Widerstand. Die British Medical Association (BMA) warnte, dass die technologische Direktive Palantirs „am Interesse der Patienten“ vorbei agiere. Es gehe nicht um Effizienz, sondern um Kontrolle. Journalistische Recherchen deckten auf: Mehr als 400 von 586 Seiten des Vertrags waren geschwärzt, Transparenz gleich Null. Die Folge: weniger als die Hälfte der Kliniken waren angeschlossen, viele warten auf Klärung ihrer Datenschutzbedenken. Dabei dürfte es weniger um Technik als um Vertrauen gehen: Wer entscheidet, was digital zugänglich ist und wer bewahrt die Kontrolle?
Wenn ein Unternehmen wie Palantir die Infrastruktur für Gesundheit aufbauen soll, geht es nicht nur um Bits und Bytes, sondern um Vertrauen und Autonomie. Das Schweigen über die Vertragspassagen wirkt wie eine Kampfansage an eine demokratische Gesellschaft: Vertrauen opfert man, wenn Effizienz alles wird.
Migration & Grenzsicherung – Daten als Spürhunde des Staates
Wer migriert? Woher kommen Menschen, wer sind ihre Verbindungen? In den USA beantwortet Palantir solche Fragen direkt. Die Plattform ICM (Investigative Case Management), die von Palantir geliefert wird, ist zentraler Bestandteil der Ermittlungen der Einwanderungsbehörde ICE. Sie arbeitet mit Profilanalysen, Netzwerkverfolgen und Risikoeinschätzungen, um Abschiebungen zu steuern oder zu verhindern.
Daten, die in diesem Kontext gesammelt werden, schleifen durch mehrere Behörden spurlos. Das hat Auswirkungen, auch wenn Palantir im öffentlichen Bewusstsein nicht sichtbar ist. Denn wer die Datenlandschaft gestaltet, beeinflusst Entscheidungsebenen, die bis heute individuell und durch Prozesse geprägt sein sollten, nicht durch Eine-Hinweis-Lösung. Es ist kurzsichtig zu glauben, palantir-techniken seien nur Tools, in Wahrheit formen sie politische Handlungsmöglichkeiten. Effektivität darf nicht zum Ersatz für demokratischen Diskurs werden.
Souveränität unter Druck – Europas Abhängigkeit von US-Software
Nicht nur als Bürger, auch als Gesellschaft spielen wir anonym eines der größten Referees: US-Firmen, die globale Datenanalysen liefern. Der CLOUD Act gibt US-Behörden Zugriff auf Daten von US-Anbietern, auch wenn diese Daten in Europa gespeichert sind. Damit wird unsere digitale Souveränität untergraben: Was wir nicht kontrollieren können, ist gesellschaftsrelevant.
Europa reagiert, mit dem Data Act etwa, doch das ist ein Flickenteppich. Wer entscheidet IT-Standards? Wer bestimmt, wann und wie Daten fließen? Es fehlt nicht an Regeln, sondern an echten Kontrollmöglichkeiten dessen, was unter unserer Verfasstheit stattfindet.
Palantir als Alarmsystem – Nutzen versus Einfluss
Es wäre naiv zu behaupten, Palantir hätte nur Risiken, in vielen Fällen rettet Software Leben: Militärische Abstimmungen, Rettungseinsätze, epidemiologische Analysen. Wissenschaftliche Arbeit ist heute unvorstellbar ohne Algorithmen. Aber wir müssen uns im Klaren sein: Wer die Kontrolle hat, bestimmt auch den Takt. Wo Systeme keine Transparenz haben, kann sich Macht verselbstständigen.
Der kritische Punkt lautet: Haben demokratische Gesellschaften das Gestaltungsrecht über Palantir, oder übernimmt die Technik dieses Recht? Wenn Entscheidungen zunehmend auf Daten und nicht auf Diskurs basieren, verschiebt sich unser Selbstverständnis: Wir werden zu Objekten, nicht mehr zu Subjekten demokratischer Prozesse.
Forderungen – Mehr als nur Technik bleiben
Aus all dem ergeben sich klare Grundanforderungen:
- Volle Transparenz: Verträge müssen öffentlich einsehbar sein. Vertragsteile, die Geheimhaltung verlangen, müssen begründet und begrenzt sein.
- Menschlicher Entscheidungszwang: KI darf beraten, nicht entscheiden. Jeder Einsatz muss mit menschlicher Autorität rückgekoppelt sein.
- Offene Audits: Algorithmen müssen auditierbar sein – auch mit Zugriff durch unabhängige Instanzen.
- Rechtssichere Widerspruchsmöglichkeiten: Bürger*innen müssen digitale Entscheidungen anfechten können – nicht als Ausnahme, sondern als Standard.
- Strategische Anstrengungen für europäische Alternativen: IT-Systeme sollten europäischen Rechtstraditionen entsprechen, nicht US-Standards folgen.
Szenarien der Zukunft – zwei Pfade, eine Entscheidung
Best-Case-Szenario:
Europa schafft eigene Plattformen, die offen, transparent und auditierbar sind. Systeme funktionieren als unterstützende Tools: im Gesundheitssystem, in der Justiz, in der Verwaltung. Menschen behalten die Kontrolle, statt Daten die Entscheidung.
Worst-Case-Szenario:
Es entsteht ein quasi- undurchsichtiger Layer, der Regierungssysteme flankiert und künftig Entscheidungen mitbestimmt. Funktionserweiterungen geschehen schleichend. Vertrauen bröckelt, Rechte werden technologisch ausgehebelt, ein Paradies für technokratische Kontrolle.
Epilog: Wachsamkeit ist Bürgerpflicht
Es ist nicht die Botschaft eines Technophoben. Es ist eine Warnung derjenigen, die sehen, wie schnell Instrumente der Effizienz zu Mitteln der Kontrolle werden können und wie dringend es ist, Verantwortung zu übernehmen. Wer Kontrolle abgibt, dem entwischen die Grundfeste der Demokratie. Palantir ist ein Prüfstein, zeigen wir, dass alles sehende Steine nur so mächtig sind wie wir es zulassen.
Quellen
- Justiz & Rückfälligkeit
– „Tech firm Palantir spoke with MoJ about calculating prisoners’ reoffending risks“, The Guardian, 16.11.2024. - Karlsruher Urteil
– „German police use software to fight crime – court says unlawful“, Reuters, 16.2.2023. - NHS-Vertrag
– „Patient privacy: fears US ’spy-tech‘ firm Palantir wins NHS contract“, The Guardian, 21.11.2023;
– FT.com: Daten-Einbindung, Vertragsstruktur, Beteiligungsquote. - Migration & ICE
– DHS-Datenschutz-Impact-Assessment zu ICM, Juni 2016;
– „Palantir IPO: Big-Brother tool in ICE’s toolbox“, The Guardian, September 2020. - Ukraine & Kriegsverhalten
– „Ukraine is using Palantir’s software for targeting, CEO says“, Reuters, 2.2.2023. - CLOUD Act & Datenschutz
– EDPB/EDPS Joint Response to US CLOUD Act, EDPB/EDPS, offizielle EU-Dokumentation.
Ähnliche Beiträge:
- „America first“
- Zwei Top-Insider von Rola bzw. T-Systems arbeiten jetzt als registrierte Lobby-Vertreter für Palantir
- Im Netz der Schattenmacht – Wie Daten uns heute schon entmündigen
- Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur automatisierten Datenanalyse
- Palantir gewinnt den Rahmenvertrag für Data Mining in der deutschen Polizei
Ich hab schon vor einer Dekade vor Peter Thiel, Eric Schmidt und Konsorten gewarnt.
Herzlichen Glückwunsch zu ihrer erfolgreichen Karriere.
Wie war noch gleich ihr Nick? Ach ja: „Einer von Vielen“(NWN).
Naja Hauptsache mit Rüssel.😉
Viele sagten sowas, aber niemand kannte Sie.😉
aber schön das Sie jetzt die Opposition führen🤣
Wenn die Daten schlussfolgern, Strick, haste halt Pech.
Tuttle oder Buttle?
Man schlussfolgert ja eigentlich aus den Daten. Es ist also in diesem Fall ein sehr spezielles Problem,dass man zu diesen unorthodoxen Methoden greift.
Sehr speziell.😉
Und Du, werter Oberst? Sitzkrieg oder Flammenwerfer? Entscheide dich!
Das zionistische Projekt wird scheitern, nicht unbedingt im Westen, aber im ’südlichen‘ Projekt der BRICS Staaten (wobei auch anzumerken ist, das nicht jeder aspirant oder Teilnehmer auch eine ‚gespaltene Position einnimmt), nichts destrotrotz möchte ich auf einen Artikel Aufmerksamkeit hinweisen.
https://www.rt.com/news/622747-china-us-ai-dominance/
Die Digitalisierung wird der letzte Schritt sein, zur Machtsicherung einiger weniger an der Spitze der europäischen Gesellschaften sein.
Prädiktive Modelle und Verhaltensanalysen werden dem freien Willen der Menschen letzte Grenzen setzten und den Rest einer freien Gesellschaft endgültig begraben.
Orwells Dystrophin in 1984 werden uns dagegen wie ein Kindergeburtstag vorkommen.
Sorry, „Dystrophin ist ein Protein in Wirbeltieren“ (Wikipedia). Das Wort, das Du suchst, heißt „Dystopie“.
Und es wird nicht funktionieren, auch wenn wir dennoch interessanten Zeiten entgegengehen.
Das klingt utopisch….
Ich mag Dystopie, so wie in den guten Filmen.
Ich mag Dystopien als Geschichten. aber was die Zukunft betrifft glaube ich ganz fest an Cäptn Future. Das ist handfest und Zukunftsicher für eine schönere Welt für alle..😉
Meinst du den „Captain Future“ vom „Schwurbeltreff“ wo die Afd Adlaten das Forum übernommen haben und genau dieser „Captain Future“, ähnlich wie Ken Jebsen, die Leute aufgerufen hat die Afd zu wählen und mit Bumsjodlern wie „Björn Banane“ fröhliche Liedchen in Berlin trällert?
natürlich diesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Captain_Future
https://www.youtube.com/watch?v=GBwdjahzd-U
Sie Dystopist.😉
Ah ok, mit Animationsfilmen kenne ich mich nicht aus.
Sorry, nix für ungut. ღ
😉 ist schon ok
Interessant und QED.
8 Kommentare aufgrund eines Tippfehlers ohne Reaktion auf den Inhalt meines Beitrags.
Da kann man nur hoffen, dass die Evolution ein Einsehen hat und Fortpflanzung unmöglich macht
Dieser zukunftsweisende Artikel ist derzeit noch unkommentierbar. Es will sich schließlich nichts der KI ausliefern, das sich der KI-Kritik schuldig gemacht hat.
aber dazu braucht es ja erst eine Einstufung der KI als „wichtig“. ich denke das die höheren KIs das eher fallen lassen. Wegen der Energiverschwendung.
Ummon(1) sagt: klatsch. Problem erledigt.
1: Dan Simmons Hyperiongesänge
Leider kannst du gegen die KI absolut nichts machen. Deshalb sind sie und mit ihr auch ihre Adlaten wie diese Komiker von den vereinigten Staaten von Europa auch so ungemein erfolgreich und daher absolut unvermeidbar. Sie sind jung und brauchen das Geld.
👍
Ummon war halt noch utopisch, was kommt ist reine Dystopie.
1984 Neusprech ist ja schon Realität.
Lokale Begrenzung ist nur eine Säule, wenn auch eine grundsätzlich notwendige.
Welche Checks and balances sind geeignet und erforderlich, welche Strukturen erzwingen Vertrauen aus ihrer Reproduktionsweise?
Woanders wurde das bereits von mir angesprochen und vom anderen Lesern eruiert.
https://ansage.org/big-brother-is-watching-you-danke-fuer-deine-daten/#comment-171664
Das Thema hätte schon vor mehr als 15 Jahren zur Headline gemacht werden müssen!
Da wurden die Weichen bereits gestellt und auch eine Alternative wurde genannt, die krampfhaft verschwiegen wurde,
KI ist keine Intelligenz, sondern eine Analysemethode für große Datenmengen, um Muster zu erkennen, jenachdem, nach was man sucht.. Die Ziele werden von den Auftraggebern der Software vorgegeben,
Ergo, sollten emanzipierte kundige freie Bürger bestimmen, wer was darf und wie es gemacht wird.
Aber dazu ist Journalisten bisher nichts eingefallen und Politikern auch nichts.
Schon mal den Begriff Organisationsseigentum im Zusammenhang mit der Demokratisierung der Akkumukatiion gehört?
Und kann es jemand mit eigenen Worten erklären?